KOLLOQUIUM: Making mysticism. Mystische Bücher in der Bibliothek der Erfurter Kartause
Kolloquium des Freiburger DFG-Projektes „Making mysticism. Mystische Bücher in der Bibliothek der Erfurter Kartause“
Organisiert von Balázs J. Nemes, Marieke Abram und Gilbert Fournier
Schulungsraum 2 der Universitätsbibliothek Freiburg (2. OG im Parlatorium)
Freitag, 26. Oktober 2018, 14.00-16.00 Uhr
VORTRAG
Dr. Sergi Sancho Fibla (EHESS, Paris / Université Paris-Sorbonne, Paris IV) - Connecting points. The spiritual posteriority of Medieval French Carthusian nuns
Among the female mystics that have survived until our days, only three belonged to the Carthusian order, and two of them are exclusively known thanks to their hagiography, not their texts. I am going to focus on of these, Roseline de Villeneuve’s Life, a text that is not even medieval. The oldest manuscript containing her life dates from 1527. Several new versions appeared in the 17th century, showing a growing interest in promoting Roseline’s alleged spirituality. However, it comes out that almost all the details of those Lifes are contradicted by the historical sources, making her Life actually a legend. This is a completely ordinary case of a fake mystic created in the 16th and 17th centuries, when her family and probably Carthusians were interested in foster Roseline’s cult. What it is interesting though in this process is the creation of a network of spiritual celebrities to whom Rosaline would allegedly be related to. Indeed in those texts the events of this Carthusian nun are closely linked to the well-known leading figures of the religious and mystic tradition from Southern France: Douceline de Digne, Delphine de Sabran, Élzear de Villeneuve, Josselin d’Orange, and Jacques Duèze. This fake constellation of spiritual references tells us about the Early Modern reception of female Carthusian spirituality: its territorial belonging, its Franciscan affinity, etc. Nevertheless, those are aspects that may not be only Modern, because a manuscript made in the 14th-15th centuries in Albi (Bnf fr. 13504) gathers together precisely two masterpieces of Southern French mysticism: The Life of Delphine de Sabran and Marguerite d’Oingt’s Speculum. Therefore, in my speech I intend to develop these elements and to reflect on the spiritual posteriority of female Carthusians, a branch that has strangely been disregarded by scholarship.
Freitag, 30. November 2018, 14.00-16.00 Uhr
VORTRAG
Dr. Simone Kügeler-Race (Cambridge): The Book of Margery Kempe. Die rubrizierten Annotationen in British Library Add MS 61823 als Zeugnis einer kartäusischen Textlektüre
Das mittelenglische Book of Margery Kempe zählt zu den bedeutendsten und in der anglistischen Forschung breit diskutierten Vitentexten und ist unikal im 15. Jahrhundert im Umkreis der Kartäuser überliefert (London, British Library, Add MS 61823 um 1440). Die Handschriftenfassung skizziert das ‚Gnadenleben‘ der im Text zumeist zur creature anonymisierten Margery Kempe mit bemerkenswertem Detailreichtum und einer lebensweltlich anmutenden Konkretheit. Da das anglistische Forschungsinteresse zunächst darauf ausgerichtet war, die Lebensgeschichte Margery Kempes aus textinternen Angaben zu rekonstruieren, haben auch die detaillierten Marginaleinträge in der Londoner Kempe-Handschrift im Vergleich mit der Fülle an Forschungsliteratur eher weniger Beachtung gefunden. Ziel des Vortrags ist es, aus der sukzessiven Formierung von ‚Annotationsclustern‘ eine kartäusische Lektüre- und Annotationspraxis zu erschließen. Dabei soll besonderes Augenmerk auf den Marginalglossen zu den beiden Kartäuserautoren Richard Methley und John Norton aus der im Jahr 1397 gegründeten Kartause Mount Grace in Northallerton, East Riding of Yorkshire liegen.
Freitag, 11. Januar 2019, 14.00-18.00 Uhr
VORTRAG/TEXTLEKTÜRE
Dr. Myrtha de Meo Ehlert (Foggia): Ps.-Dionysius Areopagita und die Kartäuser
Dionysius Areopagita, Autor des Corpus Dionysiacum, das sich aus den vier Werken Über die himmlische Hierarchie, Über die kirchliche Hierarchie, Über die Namen Gottes und Über die mystische Theologie sowie aus 10 Briefen zusammensetzt, gilt als Gewährsmann und «Erzvater» der abendländischen christlichen Mystik. Die Rolle und Bedeutung, die Dionysius Areopagita und das Corpus Dionysiacum in der sogenannten deutschen Mystik einnehmen, hat noch keine systematische Darstellung gefunden. Während Kurt Ruh von Dionysius Areopagita als «Erzvater» der Mystik spricht, ergibt sich ein sehr heterogenes Bild, wenn man untersucht, wie einzelne Orden das umfangreiche lateinische Material in ihrer mittelhochdeutschen Textproduktion behandeln. Im Fokus des Vortrags wird die Frage nach der Rezeption und Verbreitung im kartäusischem Kontext stehen, wobei ausgehend von der lateinischen Tradition der Kartäuser die mittelhochdeutsche Auseinandersetzung mit Dionysius Areopagita hervorgehoben wird.
Freitag, 1. Februar 2019, 14.00-16.00 Uhr
VORTRAG
Dr. Dr. Peter Thissen (Roermond): ‘Making mysticism’ in niederländischen Kartäuserbibliotheken der Neuzeit
Der um 1475 angelegte Erfurter Bibliothekskatalog “transportiert (…) ein spirituelles Vollkommenheitskonzept, das über Stufen und Wegen einer lektüregesteuerten geistlichen Vervollkommnung zur unio mystica und damit zu den Geheimnissen der theologia mystica führt.” (Posterpräsentation des DFG-Projektes ‘Making mysticism’ anlässlich der Internationalen Tagung der HandschriftenbearbeiterInnen in Basel, 11.-13. April 2018). Mit gutem Recht könnte diese Aussage auch für den Katalog der Roermonder Kartäuserbibliothek (4.772 Drucktitel) von 1740-1742 stehen. Denn auch dieser Katalog stellt unter seinen Zeitgenossen ein Unikat dar und beeindruckt durch seine Erschließungstiefe. Außerdem räumt er – wie der Katalog von Erfurt – der Ordnungskategorie ‘Mystik’ eine zentrale Rolle zu. In meinem Beitrag suche ich Antworten auf die folgenden drei Fragen, die sowohl Kartäuserbibliotheken als Ausnahmefall als auch das Konzeptionelle an der Eingliederung von ‘Mystik’ ins Ordnungssystem einer Bibliothek behandeln. Frage 1: Wie lässt sich die Gliederung des Roermonder Katalogs, speziell die Einordnung der Mystik, im Spannungsfeld einer auf die spirituelle Praxis ausgerichteten Wissensordnung einerseits und der praktischen Probleme der Bibliothekspraxis andererseits erklären. In diesem Zusammenhang spielt die „invasion mystique“ (H. Bremond), das explosionsartige Anwachsen von libri mystici in den Jahrzehnten zwischen 1610 und 1660, eine besondere Rolle und damit die Frage, welche Auswirkungen diese Überlieferungsexplosion auf die konzeptionelle Gestaltung der Roermonder Kartäuserbibliothek hatte. Frage 2: Wie repräsentativ ist die Roermonder Bibliothek für die Gruppe von zeitgenössischen Kartäuserbibliotheken in den Österreichischen Niederlanden? Angesichts der Tatsache, dass das auswertbare Quellenmaterial ausschließlich den sogenannten Aufhebungslisten der 1780er Jahre entstammt, muss man bei der Antwort auf diese Frage
besondere Vorsicht walten lassen. Frage 3: Spielt Mystik als Ordnungskategorie einer Bibliothek auch bei den neuzeitlichen Büchersammlungen anderer Orden eine solche Rolle, wie sie in Roermond beobachtet werden kann?
Weitere Informationen: www.making-mysticism.org
Anmeldung: info@making-mysticism.org